15
JUN
2017

„Ich habe eine Bekanntschaft gemacht, die mein Herz näher angeht“

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Schüler der Einführungsphase erkunden die historische Altstadt von Wetzlar und begeben sich auf Goethes und Werthers Spuren

Am Mittwoch, dem 14.06.2017, machten sich die Deutsch-Grundkurse von Frau Grohmann, Frau Happ, Frau Lecybyl und Herrn Dr. Zipp sowie der Vorleistungskurs von Frau Kammel auf den Weg nach Wetzlar, um in der historischen Altstadt der Goethe- und Optikstadt gemeinsam auf den Spuren Goethes und Werthers zu wandeln. Im Vorfeld hatten sich die Schülerinnen und Schüler der Einführungsphase im Rahmen des Deutschunterrichts ausführlich mit der Epoche des Sturm und Drang auseinandergesetzt und in diesem Zusammenhang Goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“, der erstmals anonym im Herbst 1774 in Leipzig erschien und aufgrund seiner Thematik und künstlerischen Gestaltung heute zu den bedeutendsten Werken der Weltliteratur gehört, besprochen.

Die mittelhessische Stadt und ihre Umgebung dienten dem jungen Goethe, der im Mai 1772 in Wetzlar eintraf, um sich auf Geheiß seines Vaters der Juristerei zu widmen, als Kulisse für seinen Werther-Roman. Goethe verarbeitete darin seine eigene, unglückliche Liebe zu Charlotte Buff, der Tochter des Kastnereiverwalters und Amtmanns Heinrich Adam Buff und Verlobten des hannoverschen Legationssekretärs Johann Christian Kestner. Die Beschreibungen der einzelnen Schauplätze sind dabei so präzise, dass man sie auch heute noch mühelos wiederfinden kann. Grund genug für Frau Grohmann, Fachsprecherin Deutsch, eine Exkursion in die nur 35 km von Wölfersheim entfernte idyllische Kleinstadt an der Lahn zu organisieren.

Um 9.00 Uhr trafen sich die Teilnehmer der Exkursion auf dem Bahnhofsgelände, um nach einem kurzen Briefing gemeinsam mit ihren Lehrern durch die Wetzlarer Innenstadt zum Brunnen am Dom zu laufen. Dabei durchliefen sie einen Optikparcours, der zum Experimentieren und Entdecken einlud und den Absolventen an mehreren Stationen verschiedene Aspekte der Optik und des Sehens erfahrbar machte. Auf dem Domplatz angekommen, wurden die Schülerinnen und Schüler von sachkundigen Stadtführern in Empfang genommen. Auf den Spuren Goethes und Werthers besichtigten sie im Rahmen der gut zweistündigen Führung unter anderem den Goethebrunnen, den Lottehof, das Geburtshaus von Charlotte Buff und das Jerusalemhaus. An Originalschauplätzen vorgetragene Rezitationen aus dem Briefroman (z.B. am Goethebrunnen) machten die historische Führung auch zu einem literarischen Erlebnis. Besonders ergreifend war die Rezitation des Werther-Schlusses im Jerusalemhaus am heutigen Schillerplatz, wo auch die Führung endete. Hier beging Karl Wilhelm Jerusalem, der als Legationssekretär der braunschweigischen Gesandtschaft zum Studium der Prozessführung nach Wetzlar kam und als Vorbild für die literarische Hauptfigur Eingang in Goethes Briefroman fand, am 29. Oktober 1772 Selbstmord.


Ein Nachbar sah den Blick vom Pulver und hörte den Schuß fallen; da aber alles stille blieb, achtete er nicht weiter drauf. Morgens um sechse tritt der Bediente herein mit dem Lichte. Er findet seinen Herrn an der Erde, die Pistole und Blut. Er ruft, er faßt ihn an; keine Antwort, er röchelt nur noch. Er läuft nach den Ärzten, nach Alberten. Lotte hört die Schelle ziehen, ein Zittern ergreift alle ihre Glieder. Sie weckt ihren Mann, sie stehen auf, der Bediente bringt heulend und stotternd die Nachricht, Lotte sinkt ohnmächtig vor Alberten nieder.

Als der Medikus zu dem Unglücklichen kam, fand er ihn an der Erde ohne Rettung, der Puls schlug, die Glieder waren alle gelähmt. Über dem rechten Auge hatte er sich durch den Kopf geschossen, das Gehirn war herausgetrieben. Man ließ ihm zum Überfluß eine Ader am Arme, das Blut lief, er holte noch immer Atem. Aus dem Blut auf der Lehne des Sessels konnte man schließen, er habe sitzend vor dem Schreibtische die Tat vollbracht, dann ist er heruntergesunken, hat sich konvulsivisch um den Stuhl herumgewälzt. Er lag gegen das Fenster entkräftet auf dem Rücken, war in völliger Kleidung, gestiefelt, im blauen Frack mit gelber Weste.

Das Haus, die Nachbarschaft, die Stadt kam in Aufruhr. Albert trat herein. Werthern hatte man auf das Bett gelegt, die Stirn verbunden, sein Gesicht schon wie eines Toten, er rührte kein Glied. Die Lunge röchelte noch fürchterlich, bald schwach, bald stärker; man erwartete sein Ende. Von dem Weine hatte er nur ein Glas getrunken. »Emilia Galotti« lag auf dem Pulte aufgeschlagen. Von Alberts Bestürzung, von Lottens Jammer laßt mich nichts sagen.

Der alte Amtmann kam auf die Nachricht hereingesprengt, er küßte den Sterbenden unter den heißesten Tränen. Seine ältesten Söhne kamen bald nach ihm zu Fuße, sie fielen neben dem Bette nieder im Ausdrucke des unbändigsten Schmerzens, küßten ihm die Hände und den Mund, und der älteste, den er immer am meisten geliebt, hing an seinen Lippen, bis er verschieden war und man den Knaben mit Gewalt wegriß. Um zwölfe mittags starb er. Die Gegenwart des Amtmannes und seine Anstalten tuschten einen Auflauf. Nachts gegen eilfe ließ er ihn an die Stätte begraben, die er sich erwählt hatte. Der Alte folgte der Leiche und die Söhne, Albert vermocht’s nicht. Man fürchtete für Lottens Leben. Handwerker trugen ihn. Kein Geistlicher hat ihn begleitet.


Den freien Nachmittag nutzten unsere Schülerinnen und Schüler bei herrlichem Sonnenschein zu einem gemütlichen Stadtbummel, der Einkehr in eines der zahlreichen Cafés und zum Shoppen. Wir hoffen, dass ihnen der gemeinsame Ausflug gefallen hat und sie viele neue Eindrücke mit nach Hause genommen haben.

Für die Fachschaft Deutsch – Dr. M. Zipp