„Vergeben, aber nicht vergessen“
Zeitzeugen berichten über persönliche Erlebnisse zur Zeit des Nationalsozialismus
Schon zum dritten Mal hatten Schülerinnen und Schüler der Singbergschule Wölfersheim am 15.09.16 Gelegenheit, ins Gespräch mit Zeitzeugen der Besatzung Polens während des Zweiten Weltkrieges zu kommen. Der evangelische Verein „Zeichen der Hoffnung“, der sich für eine bessere Verständigung zwischen Polen und Deutschen einsetzt, unterstützt polnische Überlebende der Konzentrationslager und organisiert regelmäßig Kuren für sie. Im Zuge dessen ermöglicht der Verein dabei Zeitzeugenbesuche an Schulen in der Wetterau. Die Geschäftsführerin des Vereines, Daria Schefczyk, übersetzt die Vorträge der Zeitzeugen. Um die Planung und Durchführung der Veranstaltungen vor Ort kümmert sich Adelheid Müller, die ihr ganzes Herzblut in dieses Projekt steckt. Jerzy Wojciewski und Edward Krölewiecki stammen beide gebürtig aus Warschau, haben aber von sehr unterschiedlichen Erlebnissen zu berichten. Während Edward 1940 geboren wurde und sich seine Erinnerungen an die Besatzungszeit mit den Erzählungen der Eltern und Geschwister mischen, schloss sich Jerzy (Jahrgang 1926) als Jugendlicher den Partisanen an und nahm an mehreren Einsätzen gegen die Besatzer teil. Edward berichtet von der auf den Warschauer Aufstand folgenden Inhaftierung seiner unbeteiligten Familie in einem Durchgangslager, der Bedrohung durch einen Deutschen, auf dessen Hof seine Eltern Zwangsarbeit leisten mussten, sowie der Gefahr als blonder und blauäugiger Junge, zur „Germanisierung“ nach Deutschland gebracht zu werden. Jerzy hingegen schildert seine Gefangennahme und berichtet von der Zwangsarbeit in mehreren Lagern, die er unter schrecklichen Umständen ertragen musste. Genau kann er sich an das kaum genießbare und unzureichende Essen, die Stockschläge, das Ungeziefer und die Krankheiten erinnern. Als er kurz vor der Befreiung an Fleckfieber erkrankte, wog er schließlich nur noch 29 Kilogramm. Er hielt es geradezu für ein Wunder, von den Franzosen befreit zu werden und den Krieg überlebt zu haben. Er verzichtete auf die Möglichkeit, in die USA auszuwandern und beteiligte sich am Wiederaufbau Warschaus. Edwards prägendste Erinnerung der Besatzungszeit ist die Drohung des Deutschen, der seine Eltern zu Zwangsarbeit zwang, seinen Vater sofort zu erschießen, falls es zu Aufständen käme.
Die Betroffenheit der Schülerinnen und Schüler des Jahrgangs 10, die die Zeitzeugen befragen durften, spiegelte sich in den Gesichtern wider. Sie alle erlebten, welche bedeutende Erfahrung es ist, mit Menschen zu sprechen, die die Schrecken der nationalsozialistischen Unterdrückung tatsächlich erlebt haben. Jerzy und Edward sind sich einig: Die jungen Menschen, die vor ihnen sitzen, tragen keine Verantwortung für die Vergangenheit, wohl aber für die Zukunft. „Ich habe alles vergeben, aber nichts vergessen“, sagt Jerzy. Erinnerung ist wichtig, um Zukunft menschlich gestalten zu können, genau deshalb sind Gespräche mit Zeitzeugen auch heute noch so wichtig.