08
MAI
2017

Keine Schuld an der Vergangenheit, aber Verantwortung für die Zukunft

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Auch über siebzig Jahre nach dem Holocaust ist es wichtig, sich der Vergangenheit zu erinnern und der eigenen Verantwortung bewusst zu werden. Wer davon spricht, dass dieses Thema schon zur Genüge behandelt und für unsere Jugend nicht mehr von Relevanz sei, verkennt, dass Unrecht – damals wie heute – gerade durch die Gleichgültigkeit und den mangelnden Einsatz des Einzelnen gefördert wird. Das wissen unsere Schülerinnen und Schüler der Qualifikationsphase , weswegen sie Anita Lasker-Wallfisch, Überlebende des Vernichtungslagers Auschwitz und des Konzentrationslagers Bergen-Belsen, gespannt zuhörten, als diese von ihren Erlebnissen als Cellistin des Häftlingsorchesters und den Zufällen, die ihr Überleben sicherten, berichtete.

Uwe Hartwig, Vorsitzender der Lagergemeinschaft Auschwitz, organisierte und moderierte das Zeitzeugengespräch in Absprache mit Fachbereichsleiter Uwe Müller und Fachsprecherin Beate Klüber. Ein besonderer Dank gilt dem Wetteraukreis für die finanzielle Unterstützung.

Begrüßt wurde die heute in London lebende Zeitzeugin von der Schulband der Singbergschule unter der Leitung von Thomas Küchenmeister, die sehr passend ihr Paradestück „If you tolerate this your children will be next“ (im Original von den Manic Street Preachers) spielte, sowie eine kurze Einführung durch Lucia Küchenmeister.

Nach weiteren Grußworten durch Fachbereichsleiter Uwe Müller und Oberstufenleiter Franz Wild betonte der Erste Kreisbeigeordnete und Schuldezernent Jan Weckler den Vorteil der Vermittlung authentischer Erfahrungen gegenüber dem Lernen mit Büchern. Abschließend bekräftigte auch der Vorsitzende des Fördervereins der Wölfersheimer Schulen, Eike See, die Bedeutung von Zeitzeugengesprächen für die Konstruktion unseres Geschichtsbildes.

Anita Lasker-Wallfisch, 1925 in Breslau als Tochter eines Rechtsanwalts und einer Musikerin geboren, berichtet, ihr Vater habe sich als deutsch angesehen und die gesamte Familie sei nicht religiös gewesen. 1943 gelangte Anita, nach der Deportation ihrer Eltern während der Zwangsarbeit als Urkundenfälscherin überführt, gemeinsam mit ihrer Schwester Renate nach Auschwitz. Der Status als Kriminelle, den sie mit ihrem Vater befreundeten Juristen zu verdanken glaubt, bewahrte die beiden vor der sofortigen Ermordung. Dass Verbrecher besser als Unbescholtene behandelt worden seien, betont Lasker-Wallfisch besonders. In Auschwitz rettete Anitas Status als Cellistin des Häftlingsorchesters beide Schwestern, in Bergen-Belsen wiederum war sie auf die Unterstützung ihrer Schwester Renate angewiesen. Während des Berichtes betont die Zeitzeugin, kein Interesse daran zu haben, den Schülerinnen und Schülern durch Schildern der schrecklichen Erlebnisse des Lageralltages ein schlechtes Gewissen einzureden. Vielmehr sollten sich ihre Zuhörer ihrer Verantwortung für die Entwicklungen in der heutigen und zukünftigen Gesellschaft bewusst werden.

Nach der Befreiung durch die Briten und einer ungewissen Zeit als „displaced person“ konnten Anita und Renate es ihrer Schwester Marianne nachtun und in Großbritannien eine neue Heimat finden. Auch hier stieß man in der direkten Nachkriegszeit aber auf mangelndes Interesse und Unverständnis, was die erlebten Schrecken anging. Für Anita Lasker-Wallfisch war es ein langer Weg der Auseinandersetzungen und auch der Begegnungen auf ihren Konzertreisen, die sie dazu bewegten, als Zeitzeugin tätig zu werden. Zuvor veröffentlichte sie ihr an ihre Kinder gerichtetes Buch „Ihr sollt die Wahrheit erben Die Cellistin von Auschwitz. Erinnerungen.“ (1997 erschienen).

Für die Oberstufenschülerinnen und –schüler ergab sich ein fruchtbarer Austausch mit einer der letzten lebenden Zeuginnen einer Zeit, die wir manchmal gern vergessen möchten, aber niemals vergessen dürfen.